Kennst du diesen Moment? Du hörst aus einem anderen Raum, wie dein Partner oder deine Partnerin die Kinder anschreit, und in dir zieht sich alles zusammen. Ein Teil von dir will sofort dazwischen gehen, die Kinder beschützen. Ein anderer Teil ahnt schon den nächsten Streit zwischen euch. Du fühlst dich wie zwischen zwei Stühlen gefangen:
Eine scheinbar unmögliche Situation. In unserem Momentum Programm ist der Konflikt um unterschiedliche Erziehungsstile einer der häufigsten Streitpunkte. Besonders oft höre ich: "Mein Partner ist zu hart zu den Kindern, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll."
In diesem Artikel zeige ich dir, was du in solchen Momenten tun kannst, um sowohl deine Kinder als auch deine Beziehung zu schützen – und wie du einen häufigen Fehler vermeidest, der die Situation oft verschlimmert.
Das Grundproblem: Warum direktes Eingreifen oft nach hinten losgeht
Lass uns ehrlich sein: Wenn dein Partner die Kinder anschreit, passiert das selten aus reiner Bosheit (solange wir nicht von echtem Missbrauch sprechen). Oft stecken Frustration, Überforderung oder einfach ein anderer Erziehungsansatz dahinter. Fast alle Eltern wollen grundsätzlich das Beste für ihre Kinder – der Unterschied liegt meist nicht im WAS, sondern im WIE.
Wenn du jetzt aber vor den Kindern direkt eingreifst, deinen Partner zurechtweist oder die Kinder demonstrativ in Schutz nimmst, passiert Folgendes:
- 1Du untergräbst die Autorität deines Partners: Die Kinder lernen schnell: "Wenn Papa/Mama schimpft, kommt der andere Elternteil und rettet mich." Das schwächt die Position deines Partners nachhaltig.
- 2Du bildest (ungewollt) eine Allianz mit den Kindern GEGEN deinen Partner: Dein Partner fühlt sich im Stich gelassen, kritisiert und nicht als Teil des Teams. Das ist Gift für eure Paarbeziehung.
- 3Du verbaust dir die Chance auf ein konstruktives Gespräch: Wenn dein Partner sich von dir angegriffen fühlt ("Du fällst mir in den Rücken!"), wird er kaum offen für eine spätere, ruhige Klärung sein. Der Konflikt zwischen euch wird wahrscheinlicher.
- 4Die Kinder lernen, Eltern gegeneinander auszuspielen: Kinder sind schlau. Sie merken unbewusst, wie sie durch bestimmtes Verhalten eine Reaktion provozieren können, die den "strengen" Elternteil ausbremst.
"Aber soll ich einfach zusehen?!"
Nein, natürlich nicht! Das ist NICHT die Lösung. Die Lösung liegt aber nicht darin, im akuten Moment gegen deinen Partner zu arbeiten, sondern MIT ihm – als Team, auch wenn es schwerfällt.
Drei Wege, wie du bei Erziehungskonflikten wirklich helfen kannst
Hier sind drei Wege, wie du reagieren kannst, ohne deinem Partner in den Rücken zu fallen oder deine Kinder im Stich zu lassen:
Weg 1: Die unterstützende Allianz – Stärke das Team
Anstatt deinen Partner zu untergraben, stell dich verbal an seine Seite, während du gleichzeitig die Situation deeskalierst.
Situation: Dein Partner ist frustriert, weil die Kinder zum dritten Mal nicht auf die Aufforderung reagieren, sich bettfertig zu machen. Er wird laut: "Jetzt reicht's mir aber! Ich habe schon dreimal gesagt, dass ihr eure Zähne putzen sollt! SOFORT INS BAD!"
Deine Reaktion (statt "Schrei die Kinder nicht so an!"):[Ruhig, aber bestimmt zu den Kindern] "Kinder, Papa hat Recht. Es ist spät, und wir haben euch schon mehrmals gebeten. Kommt, ich helfe euch schnell."
Was passiert hier?
Du bestätigst die Berechtigung der Aufforderung ("Papa hat Recht"), zeigst den Kindern, dass ihr Eltern ein Team seid, und entschärfst gleichzeitig die Situation, indem du Unterstützung anbietest ("Ich helfe euch"). Du nimmst Druck von deinem Partner, ohne seine Autorität zu untergraben.
Weg 2: Die nachträgliche Reflexion – Das Gespräch im richtigen Moment
Natürlich müsst ihr über Erziehungsstile und Verhaltensweisen sprechen, die du nicht in Ordnung findest. Aber der richtige Zeitpunkt dafür ist nicht im hitzigen Moment vor den Kindern.
Warte, bis die Kinder im Bett sind und ihr beide zur Ruhe gekommen seid. Dann suche das Gespräch – mit Verständnis und Ich-Botschaften:
Formulierungsideen:
Warum das besser funktioniert: Dein Partner fühlt sich nicht angegriffen, sondern verstanden. Ihr sucht gemeinsam nach Lösungen, statt euch gegenseitig Vorwürfe zu machen. Das geht aber nur, wenn du ihm nicht kurz zuvor vor den Kindern "in den Rücken gefallen" bist.
Weg 3: Die präventive Strategie – Konflikte vermeiden, bevor sie entstehen
Der klügste Weg ist oft, typische Konfliktsituationen von vornherein zu entschärfen. Setzt euch in einem ruhigen Moment zusammen und entwickelt gemeinsame Regeln und Konsequenzen für wiederkehrende Probleme.
Beispiel: "Was machen wir, wenn die Kinder nach der dritten Aufforderung zum Aufräumen immer noch nicht reagieren?" Einigt euch auf eine klare, vorhersehbare Konsequenz, die dann beide durchziehen.
Metapher: Stellt euch eure Erziehung wie ein Orchester vor. Du spielst vielleicht die sanften Streicher, dein Partner die kräftige Trommel. Beides hat seinen Platz, aber wenn ihr nicht im gleichen Takt spielt, gibt es nur Lärm. Findet euren gemeinsamen Rhythmus!
Konkrete Schritte für den Alltag – Wie fängst du an?
1. Beobachte die Muster (1 Woche)
Wann genau eskalieren die Situationen? Gibt es typische Auslöser (Müdigkeit, Zeitdruck, bestimmte Aufgaben)? Notiere es dir, um Muster zu erkennen (z. B. morgens vor der Schule, abends vorm Schlafen).
2. Führe das "Elternteam-Gespräch" (20 Min, ruhiger Moment)
Plant bewusst Zeit ein, wenn die Kinder schlafen. Beginnt mit dem gemeinsamen Ziel: "Wir beide wollen das Beste für unsere Kinder und dass sie sich gut entwickeln. Was bedeutet das für dich?"
Versteht erst die Perspektive des anderen, bevor ihr über das "WIE" sprecht. Formuliert Sorgen als gemeinsame Herausforderung ("Ich habe bemerkt, wir sind beide oft frustriert bei X. Wie können wir das gemeinsam besser hinbekommen?").
3. Macht die Unterstützungsübung
Schreibt in einem ruhigen Moment jeder drei konkrete Sätze auf, mit denen ihr euch in schwierigen Situationen gegenseitig unterstützen könnt (siehe Weg 1 und die Beispiele unten). Besprecht sie.
Wichtige Bedenken angesprochen
Es gibt einige typische Sorgen, die Eltern in dieser Situation haben. Diese sind absolut verständlich und verdienen eine ehrliche Antwort. Hier sind die häufigsten Bedenken und wie du konstruktiv damit umgehen kannst – ohne die Beziehung zu deinem Partner oder die Sicherheit deiner Kinder zu gefährden.
Mein Partner verletzt die Kinder mit seinem Schreien emotional!
Das ist eine ernste Sorge. Wir müssen unterscheiden: Ist es gelegentliche, laute Frustration (was nicht ideal, aber menschlich ist) oder ist es verbale Misshandlung (Beschimpfungen, Beleidigungen, Demütigungen)?
Letzteres ist eine rote Linie. Wenn du eine akute Gefahr für die Kinder siehst, musst du sie natürlich schützen. In den meisten Fällen ist es aber hilfreicher, die Situation nicht im Moment eskalieren zu lassen, sondern die unterstützende Allianz zu nutzen und das ernste Gespräch später als Partner zu führen, eventuell auch mit professioneller Hilfe. Aber auch hier gilt: Das Gespräch funktioniert besser, wenn du nicht vorher die Fronten verhärtet hast.
Mein Partner will gar nicht über Erziehung reden!
Der Trick ist oft, nicht mit Kritik ("Wir müssen über dein Schreien reden!"), sondern mit Verständnis und dem Fokus auf das gemeinsame Ziel zu starten ("Ich merke, wir sind beide oft gestresst mit den Kindern. Wie können wir uns gegenseitig unterstützen?" oder "Was ist dir am wichtigsten, was unsere Kinder lernen sollen, bis sie erwachsen sind?").
Was ist, wenn unser Kind wirklich Angst vor meinem Partner bekommt?
Emotionale Sicherheit ist essenziell. Wenn dein Kind echte Angstsymptome zeigt, musst du das unbedingt ansprechen – aber wieder: nicht im Konfliktmoment, sondern ruhig und sachlich. Hier kann auch eine externe Familienberatung sehr sinnvoll sein.
Als Elternteam gemeinsam wachsen
Konflikte wegen unterschiedlicher Erziehungsstile sind normal, aber sie müssen eure Beziehung nicht zerstören. Indem du lernst, im akuten Moment als Team zu agieren (auch wenn es schwerfällt) und die eigentliche Klärung auf einen ruhigen Zeitpunkt verschiebst, schützt du deine Kinder UND stärkst eure Partnerschaft.
Diese Strategien funktionieren umso besser, je stabiler und liebevoller eure Beziehung grundsätzlich ist. Wenn ihr euch eher wie in einer "miesen WG" fühlt, fällt es natürlich schwerer, einander zu unterstützen. Arbeitet also auch an eurer Basis als Paar!
Tipps dazu findest du auch in meinem Artikel über die 5 einfachen Kommunikations-Regeln für Elternpaare. Probiere die Tipps aus diesem Artikel aus. Sie erfordern Übung und Mut, aber sie können einen riesigen Unterschied machen.
Fühlst du dich oft im Konflikt zwischen Partnerschaft und Elternrolle?
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